Seyran Ateş im Interview


Seyran Ateş im
Interview mit Pro Polizei Berlin e.V.

Interview „Pro Polizei Berlin e.V.“ im Oktober 2019 anläßlich Fotoshooting der Kampagne „Berliner suchen Polizeinachwuchs“

Seyran Ateş

Frau Kollegin Ates, Mandanten von mir leben seit 30 – 40 Jahren in Deutschland – es sind Deutsche mit Migrationshintergrund – Juweliere, Kfz-Meister und anderes aus der Türkei, Palästina und dem Libanon. Sie sagen mir: Ich war echt integriert – seit Herbst 2015 bin ich wieder der Ausländer. Wie ist es Ihnen ergangen ?

Ates: Ich bezweifel, daß es in irgendeinem Zeitraum eine aktive Integration in Deutschland gegeben hat. Daher ist es auch schlicht falsch, daß wir seit 2015 „Integrationsprobleme“ haben. Die waren schon vorher präsent. Auch vor 2015 hat es Zwangsehen gegeben. Ich bin seit den 50 ´er Jahren in Deutschland – ich kann mich nicht erinnern, daß die Politik Integrationspolitik nachhaltig und erfolgreich betrieben hat. Es ist vielmehr so, daß sich große Teile der einflußreichen Politik nicht mit Integration beschäftigt hat. Es waren eher potemkische Dörfer wie das Öffnen der Kommunalwahlen für Ausländer.

 

Sie sind u.a. im Strafrecht in Deutschland als Rechtsanwältin tätig. In den 80´er Jahren war es politisch nicht korrekt, darauf hinzuweisen, welch hohen Anteil an der Jugendkriminalität durch Deutsche mit Migrationshintergrund hatten. Inzwischen sind wir weiter. War die Statistik seinerzeit dem Umstand geschuldet, daß man politisch keine Analyse wollte, um den „gescheiterten politischen Integrationsansatz“ öffentlich zu machen?

Ates: Die Integrationspolitik ist spätestens seit den 1080´er Jahren gescheitert. Sonst hätten wir heute die Probleme nicht. Die Politik hatte keine Ideen und/oder Konzepte für eine Integration. Keiner wollte „ausländerfeindlich“ sein – also saß man die aufkommenden (kriminellen) Probleme aus. Es war so in der Denke: „Vor allem Muslime bleiben sowieso nicht lange da, die gehen auch wieder“. Vor allem das Jugendstrafrecht ist in Deutschland verkommen zu dem Finger-Zeig „Du-Du-Du“. Die Folge ist, daß alle straffälligen Jugendlichen – also die mit Migrationshintergrund und aus problematischen (deutschen) Familien eine unfaßbare Einstellung zum Rechtsstaat Deutschland haben. Ob die Jugendrichterin Kirsten Heisig oder der ehem. Bezirksbürgermeister von Neuköllen Heinz Buschkowsky – einsame Rufer in der Wüste für eine Kehrtwende. In den 70 ´er Jahren wäre eine Kehrtwende in der Integrationspolitik und in der Wahrnehmung von Jugendstraftäter noch umkehrbar gewesen – heute kann man in der dritten und vierten Generation nur noch mit staatlichem Zwang die Kehrtwende vollziehen. Für Flüchtlinge und andere Ausländer mit Aufenthaltstatus bedeutet das: Entweder ihr lernt in einem bestimmten Zeitfenster deutsch oder es gibt keinen Aufenthalt mehr in Deutschland.

 

Ich habe in meinem Leben zwei Jahre in Afghanistan – im wesentlichen für die Bundeswehr – verbracht. Dort habe ich ein sehr registrives Polizeisystem kennen gelernt. Heinz Buschkowsky klagt darüber, daß die Innenbehörde Berlin die Weisung erteilt, im Zeitraum des Ramadan den Menschen muslimischen Glaubens nicht allzu streng gegenüber zu treten, weil die Menschen ohne Wasser und Nahrung natürlich aggressiver reagieren. Eine solche Weisung habe ich in Afghanistan nicht gesehen. Vielleicht sollten wir vor dem Osterfest auch eine Weisung für fastende Christen herausgeben. Was meinen Sie?

Ates: Fasten ist selbstgewähltes Leid – es beinhaltet kein Recht, andere zu belästigen oder Gesetze zu brechen. Gerade auch die Linke hätte es nie zugelassen, daß die katholische Kirche Sonderrechte im Zeitraum der Fastenzeit eingeräumt bekommt. Das ist völlig absurd. Der schwache Muslim kann auch in den muslimischen Ländern das Fasten einstellen – es gibt keinen Grund, in einem Rechtsstaat wie Deutschland hier Sonderprivilegien zu gestatten. Außerhalb von Berlin wäre eine solche Diskussion auch völlig absurd.

Sie haben in Interviews geäußert, daß wenn sich in Deutschland nicht die Innenpolitik ändert, wir in ca. 20 – 30 Jahren ein anderes Land sein werden. Was meinen Sie konkret damit ? Hat eine Initiative „Dahrendorf, Adorno u.a.“ Philosophen in einem Land der Angst noch eine Erfolgschance und gibt es bekannte Gesichter für eine Initiative „Old Republik BRD“?

Ates: Sehr viele sekulare/atheistische Muslime in Deutschalnd suchen inzwischen andere Länder, in denen sie auswandern können. Bereits heute ist Deutschland ein anderes Land als in den 80 ´ er Jahren. Beispiel: Wir (auch als Muslima) haben in den 80 ´er Jahren ganz normal in der Schule das Schwimmen gelernt. Heute wird ein Drama daraus gemacht, ob wir im Burkini ins Wasser gehen – möglichst in einer Mädchenklasse. Sie selbst haben erlebt, wie aus Jungen – und Mädchenschulen in Deutschland gemischte Schulen wurden. Auch damals gab es keine „Götterdämmerung“ – eher eine Bereicherung.

Wir beobachten immer mehr muslimische Gemeinden – siehe z.B. Neuenrade – durch die muslimische Bruderschaft. Hier soll eine Großmoschee entstehen. In den neuen Bundesländern gibt es in nächster Zeit 22 Muslimgemeinden. In Italien entstehen gerade 47 Bildungseinrichtungen der muslimischen Bruderschaft.

Wir müssen uns in Deutschland wieder unserer liberalen Werte bewußt werden und dafür einstehen – dafür benötigt dieses Land auch entsprechende Politiker und die Werte sind: Toleranz, Freiheit, Gleichheit=gleiche Chancen, Brüderlichkeit.

 

Sie erleben Polizei und Justiz – u.a. zu ihrem eigenen Schutz hautnah – welche Forderungen würden Sie an die Berliner Innenbehörde/den Senat stellen – als Strafverteidigerin, als Berliner Bürgerin und als Schutzbefohlene?

Ates: Der Abbau von Justiz im Allgemeinen – in der Richterschaft, Staatsanwaltschaft und Polizei in Berlin ist verheerend. Ansätze engagierter Menschen in diesem Bereich wurden unter dem Primat der Kosteneinsparung beerdigt. Beispiel: Jugendrichterin Kirsten Heisig hatte keine Chance, ihre Ideen umzusetzen. Sie beging Selbstmord. Die Justiz ist aktuell überfordert (Jugendstrafverfahren nach zwei Jahren nach der Tat sind sinnlos) und die Polizei wird in Berlin allein gelassen. Auch ist es doch bedenklich, wieviel Menschen in Deutschland inzwischen durch die Polizei beschützt werden müssen. Ich sage Ihnen eins für Berlin: Dieser Senat gehört abgelöst wegen Unfähigkeit.

 

Frauenrechte – me too Debatte u.a. Ich wage mal die These, daß die Frauen in Ost-Deutschland keine besondere Aufmerksamkeit auf Alice Schwarzer legen. Die im Osten waren nämlich weitgehend emanzipiert. Ist das eine Debatte des dekadenten Westens?

Ates: Die Frauen im Osten Deutschlands waren in der Tat emanzipiert – sie haben im Wesentlichen als Ingenieure und Naturwissenschaftlerinnen am Aufbau Teil gehabt. Durch die Wende wurden diese emanzipierten Frauen oft zurück geworfen.

Bei der me-too-Debatte habe ich den Eindruck, daß hier Männer die Karriere anderer Männer kaputt machen.

Sexuelle Belästigung geht gar nicht, ein absolutes NO GO – aber nach 30 Jahren festzustellen, daß man als Filmsternchen in Filmrollen angekommen nun im reifen Alter ohne Rolle feststellt, belästigt worden zu sein, ist zumindest irritieren.

 

Das Interview führte der Vorsitzende Pro Polizei Berlin e.V. Dr. Joachim Sproß (Rechtsanwalt)